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In einem gesunden Darm leben sehr viele und sehr verschiedene Bakterien zusammen und sorgen für eine reibungslose Verdauung und ein gesundes Immunsystem. Krankheiten und die Ernährung können dieses Gleichgewicht jedoch stören. Im Interview erklärt Lisa Budzinski vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin nicht nur den Unterschied zwischen probiotisch und präbiotisch, sondern auch, wie man zur Gesundheit des eigenen Darmmikrobioms beitragen kann. 

LEIBNIZ Worüber reden wir eigentlich, wenn wir über Darmbakterien sprechen, Frau Budzinski? 

LISA BUDZINSKI Wir reden über die Gesamtheit der sehr, sehr vielen Bakterien, die sich in unserem Darm tummeln, und die Vielfalt von denen ist riesengroß. Bakterien sind dabei kleine Zellen, die in unserem Körper mit uns zusammenleben. 

Um ungefähres Bild zu bekommen: Wie viele Bakterien sind das denn eigentlich? 

In unserem Darm leben etwa 100 Billionen Bakterien – jedenfalls ist das die Anzahl, die wir bisher messen können. Die Vielfalt unter ihnen ist wie schon gesagt riesig. Diese Billionen von Bakterien haben die verschiedensten Formen, Namen und Aufgaben – es ist eine richtig diverse Darmgesellschaft, die zusammen durchschnittlich etwa zwei Kilogramm wiegt. Insgesamt leben in unserem Körper aber noch viel mehr Bakterien, von denen wir noch gar nicht alle erfasst haben.

Kennen Sie die all diese Bakterien beim Namen oder wie kann man sie voneinander unterscheiden?

Ich kenne die nicht alle beim Namen, nein. Um ihnen Namen zu geben, analysieren wir die Bakterien oft, das heißt, wir lesen ihre Namen aus der DNA ab. Und dann erhalten wir eine Liste mit vielen verschiedenen, oft sehr schwer auszusprechenden Namen – manchmal treten da Namen auf, die wir so selbst noch gar nicht gehört haben. Der Name sagt aber auch gar nicht so viel über ein Bakterium aus. Dafür muss man eher die verschiedenen Eigenschaften betrachten.

Es gibt gute und schlechte Bakterien. Ich nehme an, dass die im Darm im Wesentlichen gut sind? 

Das kann ich so pauschal leider nicht sagen, und das möchte ich auch nicht. Denn es gibt keine guten und schlechten Bakterien. Es gibt eine gute Funktion und auch eine schlechte Funktion von Bakterien – so sollten wir es viel eher betrachten. Die Bakterien in unserem Darm sind vorwiegend erstmal wichtig für uns, also gut in ihrer Funktion. Sie unterstützen uns bei der Verdauung von Nahrungsmitteln, denn sie ermöglichen es uns auch an die vielen sehr kleinen Komponenten unserer Nahrung heranzukommen. Außerdem haben unsere Darmbakterien eine andere, sehr wichtige Funktion: Sie trainieren unser Immunsystem. Deshalb ist es auch so relevant, dass man diese Darmbakterien ganz genau erforscht.

Je mehr Bakterien wir im Darm haben, desto mehr Anschauungsmaterial hat unser Immunsystem.

LISA BUDZINSKI

Die Wissenschaftlerin Lisa Budzinski
Lisa Budzinski vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in Berlin. Foto MARKUS MIELEK/SCIENCE-SLAM.COM

Es ist also wichtig, dass man viele Darmbakterien hat und sie ihre Arbeit ordentlich verrichten können – also uns bei der Verdauung helfen und das Immunsystem trainieren. Trotzdem gibt es auch Darmbakterien, die uns krank machen können, oder nicht? 

Ja, das ist richtig, aus der sehr besonderen Rolle der Darmbakterien im Immunsystem entspringt auch ein Risiko. Eben weil die Bakterien so eng mit unserem Abwehrsystem kooperieren – stellt sich die Frage: Was passiert, wenn da etwas schiefläuft? Zum Beispiel in der Kommunikation zwischen Bakterien und Immunsystem, wenn etwa Missverständnisse auftreten – können die Bakterien dann Krankheiten auslösen? Wir sind uns unsicher. Was wir bisher wissen ist, dass sich unsere Darmbakterien verändern, wenn wir krank sind. Was wir nicht wissen ist, was war zuerst da? Werden wir durch die veränderten Darmbakterien krank oder verändern sich die Darmbakterien als Konsequenz der Krankheit? Diese zeitliche Abfolge müssen wir noch besser aufklären. 

Sie forschen am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum. Rheuma ist eine Autoimmunkrankheit – eine Krankheit, bei der das Immunsystem den eigenen Körper angreift. Spielen die Darmbakterien bei Rheuma eine Rolle? 

Wir vermuten, ja. Denn wir konnten zeigen, dass die Darmbakterien vom Rheumapatientinnen und -patienten ganz anders aussahen als die von einer gesunden Vergleichsgruppe. Auch hier kontrollieren wir natürlich erst, wenn die Krankheit bereits aufgetreten ist. Es gibt aber verschiedene Studien, die schon einen klareren Zusammenhang hergestellt haben. Angeblich sollen bestimmte Darmbakterien bei Menschen mit rheumatoider Arthritis auftreten, das sind Gelenkprobleme, die Menschen während einer rheumatischen Erkrankung entwickeln. Diese Bakterien könnten also eine Art Risikofaktor darstellen. Ob das für jeden Menschen gilt und ob diese Bakterien wirklich die Krankheit auslösen, ist trotzdem noch schwer zu sagen. Man testet diese Theorien zwar im Tiermodell, etwa an Mäusen, aber manchmal hat das mit der Realität beim Menschen trotzdem nicht viel zu tun. 

Kann man also am Mikrobiom des Darms einer Person erkennen, wenn sie krank ist, zum Beispiel weil dann bestimmte Bakterien auftreten?

Ja, zum Teil kann man das erkennen. Eine erkrankte Darmflora nennen wir Dysbiose, dabei handelt es sich dann um eine zerstörte Zusammensetzung der Bakterien. Wenn bei einer Messung eine erkrankte Darmflora sehr deutlich auffällt, zum Beispiel bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Chron oder Colitis – dann geht es den Patientinnen auch schon sehr schlecht. Bei anderen Erkrankungen, bei denen der Darm nicht direkt betroffen ist, zum Beispiel bei Rheuma, ist die Veränderung des Mikrobioms im Darm nicht so deutlich. Da muss man dann genauer hinsehen.

Und wie sieht ein gesundes Mikrobiom im Darm aus?

Vor allem sehr divers! Wir brauchen viele verschiedene Bakterien, also eine sehr vielfältige Darmgemeinschaft, denn die Bakterien haben verschiedene Funktionen und Aufgaben. Je mehr unterschiedliche Bakterien also in unserem Darm leben, bei desto mehr Aufgaben können sie uns unterstützen. Bei der Verdauung bedeutet das etwa, dass unser Körper durch eine gesunde und vielfältige Darmgemeinschaft viel mehr unterschiedliche Nährstoffe verdauen kann. Durch die westliche Diät, die viele verarbeitete Lebensmittel enthält, haben sich die Aufgaben für die Darmbakterien allerdings reduziert. Und in der Folge hat auch die Anzahl und Vielfalt der Bakterien abgenommen.

Mit welchen Folgen?

So ein reduziertes Darmmikrobiom sollte man möglichst vermeiden. Denn je mehr Bakterien wir haben, desto mehr mehr Anschauungsmaterial hat unser Immunsystem. Eine diverse Darmflora gibt ihm immens viele Anhaltspunkte dafür, was gute Eigenschaften von Bakterien sind – und was schlechte. Das Abwehrsystem lernt, angemessen zu reagieren. Das ist wichtig für die Ausbildung unserer Immunantwort.

Was kann man denn tun, damit sich das eigene Mikrobiom wieder regeneriert, damit man wieder mehr Darmbakterien hat, die vielleicht auch aktiver sind? 

Eigentlich ist es ein bisschen wie Training. Es gibt zwei Begriffe, die in letzter Zeit viel verwendet werden: probiotisch und präbiotisch. Probiotische Produkte enthalten aktive, neue Bakterien. Beim Verzehr dieser Produkte nehmen wir die Bakterien auf – ob sie sich dann tatsächlich im Darm festsetzen, ist allerdings eine ganz andere Frage. Der Begriff probiotisch hat sich bisher sehr gut verkauft und mag für manche Menschen auch sehr hilfreich sein. Das gilt aber nicht für alle. Es gibt auch Produkte, die man in Apotheken erwerben kann, kleine Tütchen mit Bakterien. Auch das funktioniert für einige Menschen, für andere wieder nicht. Wir plädieren deswegen eher für eine präbiotische Therapie oder für präbiotisches Verhalten. Dabei geht es darum, den Bakterien sehr viele Aufgaben zu geben. Man versucht möglichst viele Dinge zu essen, die im ersten Moment vielleicht nicht so leicht zu verdauen sind. Dadurch kann man dann im Idealfall jene Bakterien vervielfältigen, die diese Aufgaben lösen können. Das führt dann letztendlich wieder zu mehr Bakterien mit unterschiedlicheren Fähigkeiten und Aufgaben. 

Und was isst man dafür dann? Kichererbsen?

Ja, tatsächlich Lebensmittel, die sehr viele Ballaststoffe enthalten, also schwieriger zu verdauen sind, eine gute Wahl. An sie muss man sich dann erstmal langsam heranwagen. Man sollte logischerweise nicht anfangen, nur noch Linsen zu essen und dann sagen: »Das funktioniert nicht, ich habe Bauchschmerzen!«. Man muss der Sache Zeit geben und in kleinen Schritten anfangen, bestimmte Nahrungsmittel in die alltägliche Ernährung einzubauen, die man lange nicht gegessen hat – Kohl zum Beispiel oder auch fermentierten Kohl wie Sauerkraut oder Kimchi . Damit schafft man wieder mehr Aufgaben für die Bakterien, ohne sie direkt zu überfordern. Sie haben Zeit sich auszubilden. 

Wie lange dauert es dann, sollte man diese Lebensmittel wieder regelmäßig essen, bis sich meine Darmbakteriengesellschaft erholt hat?

Das hängt davon ab, an welchem Punkt Sie beginnen. Und auch von der Darmbakteriengesellschaft, die Sie schon haben und auf die Sie dann zurückgreifen können. Denn die Zusammensetzung unserer Darmbakterien ist genauso individuell wie wir es selbst auch sind – es gibt also mal wieder leider keine Pauschalantwort. Ich gehe aber davon aus, dass man innerhalb von ein bis zwei Wochen eine Veränderung bewirken kann, wenn man die Ernährung solide durchzieht. Man muss dieses präbiotische Verhalten dann aber auch beibehalten, denn: So schnell wie sich das Darmmikrobiom regenerieren kann, kann es sich auch wieder reduzieren, wenn man ihm nicht mehr die richtigen Nahrungsmittel zur Verfügung stellt. 

TONSPUR WISSEN

Das Gespräch mit Lisa Budzinski, die am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin forscht, können Sie in voller Länge im Podcast »Tonspur Wissen« von Rheinischer Post und der Leibniz-Gemeischaft hören. Für »leibniz« haben wir es leicht gekürzt und bearbeitet. Im Podcast widmet sich die Journalistin Ursula Weidenfeld aktuellen Themen und Entwicklungen und spricht darüber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Leibniz-Gemeinschaft. Alle Folgen des Podcasts finden Sie hier.

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