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LEIBNIZ Frau Haßler, Sie erforschen unter anderem, wie die Jungen Nationaldemokraten ab den späten 1960er Jahren die Popkultur nutzten, um nationalistische Ideen zu verbreiten. Passt das überhaupt zusammen?

LAURA HASSLER Rechte leben nicht hinter dem Mond. Man darf nicht überrascht sein, wenn sie moderne Taktiken ver- wenden. Ich würde sogar sagen, der Einsatz neuer Medien, das Aufgreifen globaler Trends ist ein Charakteristikum von Nationalist*innen. Im Nationalsozialismus war es das Radio. Heute ist es TikTok. Um 1970 waren es Comics in Schüler- zeitungen oder Beat-Partys.

Jugendliche Nationalisten trugen lange Haare und hörten Musik aus den USA?

Natürlich nicht alle. Aber das Rebellisch-Revolutionäre an der Jugendkultur ab den späten 1960er Jahren passte durchaus zum Selbstverständnis der Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD. Die Wi- dersprüche, die dabei aufgekommen sind, haben sie ver- sucht aufzulösen: Auch bei den JN konnte man lange Haare tragen. Aber die sollten dann gepflegt sein. Die JN besetzten zwar Hörsäle, nahmen sich dabei aber vor, diszipliniert aufzutreten.

Das Ende des Nationalsozialismus lag damals erst 25 Jahre zurück, in der NPD sammelten sich ehemalige Nazis. Wie haben sie auf diese Anpassung an den Zeitgeist reagiert?

Natürlich stieß das auf Irritationen. Die JN in Speyer haben zum Beispiel einmal einen Beat-Abend mit einer Band namens »The Timers« veranstaltet, zu dem angeblich über 100 Jugendliche kamen. Danach empörte sich ein Leser der NPD-Parteizeitung »Deutsche Nachrichten«, er sei Nationalist, weil er sich solchen Moden eben nicht unterwerfen wolle.

Die Parteiführung hat sich nicht an der flexiblen Haltung ihrer Jugend zur Popkultur gestört?

Die NPD versuchte durchaus, die Jugend systematisch kleinzuhalten — zum Beispiel, indem sie die JN an Programmdiskussionen zunächst nicht beteiligte. Aber sie war stärker auf ihre Jugend angewiesen als andere Parteien. Junge Menschen stellten einen erheblichen Anteil der insgesamt eher geringen Mitgliedschaft. Außerdem hatte die NPD zurecht das Image, die Partei der ehemaligen NSDAP-Mitglieder zu sein. Sie brauchte Nachgeborene, die sich damals nicht schuldig gemacht haben konnten.

Die JN konnten der Mutterpartei ihren Stempel aufdrücken?

Ja, gerade nachdem die NPD es 1969 nicht in den Bundestag schaffte und zu zerfallen begann. Für die JN war diese Krise eine Chance. Es entstand ein Machtvakuum, die Jugend konnte mehr Einfluss ausüben. Zum Beispiel stellte die NPD viel jüngere Kandidaten auf als andere Parteien. Ab den 1970er Jahren waren es vor allem die JN, die in der Öffentlichkeit das Bild der NPD prägten. Viele von ihnen wirkten wie Alternative, trugen Schlaghosen, Lederjacken, sogenannte Palästinensertücher. Viele sahen aber auch ganz bieder aus.

Laura Haßler
Die Historikerin Laura Haßler vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Foto SEBASTIAN KRETZ

Wie konnten die Anhänger einer Partei, die einen aggressiven Nationalismus vertrat und die Verbrechen der Nazis verharmloste, so harmlos wirken?

Damals gab es eine Art klandestine Arbeitsteilung zwischen den JN und außerparteilichen Organisationen wie der Aktionsfront Nationaler Sozialisten. Wer in der Partei aktiv war, sollte demonstrativ gemäßigt auftreten und nicht bei Neonazi-Aufmärschen in Uniform herumlaufen. Aber wenn man irgendwann die Namen und Gesichter kennt, dann sieht man: Viele von denen machten auch bei gewaltbereiteren Gruppen mit und verherrlichten den Nationalsozialismus — nur eben nicht offiziell.

Wann kam das Bild des gewaltbereiten Rechten mit Glatze und Springerstiefeln auf?

Ab den späten 1970er Jahren verloren die JN viele Mitglie- der an Neonazi-Gruppen. 1977 ist zum Beispiel der ganze Landesvorstand Schleswig-Holstein zu einer militanten Nazigruppe übergelaufen. Seit den späten 1980er Jahren orientierten sich dann viele Neonazis an der Skinhead-Kultur, die aus England kommt und eigentlich nicht unbedingt rechts ist. Dass dieses Bild so ein zeitloses Symbol für die rechte Jugend geworden ist, hat wohl auch mit der medialen Verarbeitung der schweren rassistischen Ausschreitungen im Ostdeutschland der 1990er Jahre zu tun, etwa in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda. Auf den Fotos von damals sind viele junge Männer mit sehr kurzgeschorenen Haaren oder Bomberjacken zu sehen.

Wie hat sich die Wiedervereinigung auf die Szene ausgewirkt?

All die Jahrzehnte zuvor war die Wiedervereinigung eines der wichtigsten politischen Ziele der Jungen Nationaldemokraten. Dieses Thema fiel nun weg. Aber dass es wirklich zur Wiedervereinigung kommen könnte, darauf waren sie nicht vorbereitet gewesen. Zumindest bei den JN dauerte es Jahre, bis sich Landesverbände in den neuen Bundesländern etablierten.

Auf welchen Strukturen konnten die JN in Ostdeutschland aufbauen?

Organisierter Nationalismus war in der DDR nicht möglich. Es gab zwar die National-Demokratische Partei Deutschlands, die als Blockpartei aber von der SED kontrolliert wurde. Westdeutsche Neonazigruppen konnten da leichter Fuß fassen: Sie konnten die politisierte Skinheadbewegung, die es in der DDR außerhalb der offiziellen Organisationen durchaus gab, für sich vereinnahmen.

Heute ist die NPD, die sich inzwischen »Die Heimat« nennt, praktisch bedeutungslos. Hat die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, die Funktion der JN übernommen?

Zumindest gibt es interessante Parallelen. Auch die Parteiführung der AfD findet ihre Jugend manchmal zu radikal und fürchtet, dass sie das mühsam aufgebaute gemäßigte Image der Mutterpartei zerstören könnte. Gleichzeitig gab es nie einen Generationenkonflikt an sich. In beiden Parteien kam es immer wieder zu Bündnissen zwischen der Jugendorganisation und Akteuren der Mutterpartei. Björn Höcke versteht sich zum Beispiel sehr gut mit der Jungen Alternative in Thüringen und hat sich trotz deren Einstufung als gesichert rechtsextrem durch den Verfassungsschutz offen hinter sie gestellt.

Die Nazis der Baseballschlägerjahre haben inzwischen Kinder

LAURA HASSLER

Wie würden Sie die heutige rechte Jugendkultur beschreiben?

Mich erinnert die Situation ganz stark an die 1960er und 1970er Jahre. Damals gründeten rechte Jugendliche Rockbands. Heute gibt es rechten Rap wie den von Chris Ares und sogar rechten Techno. Statt über Flugblätter und Schülerzeitungen kommunizieren sie über Messenger und Soziale Medien. Damit haben sie natürlich eine ganz andere Reichweite.

An den rassistischen Übergriffen in Grevesmüh- len bei Wismar im Juni 2024 waren Jugendliche mit kurz geschorenen Haaren und Springerstie- feln beteiligt. Kommt das Aggressive zurück?

Für Menschen mit Migrationsgeschichte war die Alltäglichkeit von Gewalt nie weg. Mein Eindruck ist, dass die Gewaltbereitschaft wieder breitere Kreise umfasst. Viele gewalttätige Jugendliche der Baseballschlägerjahre haben sich zwar ins bürgerliche Familienleben zurückgezogen. Aber inzwischen haben sie Kinder. Manche Lehrkräfte berichten heute, dass sie sich gegen rechte Parolen an ihrer Schulen einsetzen. Beim Elternabend sitzen sie dann Nazis gegenüber. Dass Jugendliche, die aus so einem Elternhaus kommen, gewalttätig werden, überrascht mich nicht. Gleichzeitig gibt es eine Normalisierung rechter Positionen, auch im Bundestag und nicht nur bei der AfD. Das bereitet den Boden für rassistische Ausschreitungen.

Wenn sich rechte Jugendliche kulturell ständig dem gemäßigten Mainstream anpassen: Müsste das nicht auch zu politischer Mäßigung führen?

Nein. Zwar wird der Nationalismus ständig an neue Formen- sprachen angepasst. Statt von Rassen spricht man von Ethnien. Statt der Annexion des Sudetenlands fordern Rechte nun Umweltschutz oder ein »Europa der Nationen«. Oder es tritt ein Leistungsnationalismus an die Stelle des reinen Rassismus: Nur diejenigen gehören dazu, die für die Nation etwas schaffen. Aber das Ziel bleibt Nationalismus, eine Überhöhung des Volks, die auf Ausschluss beruht.

RECHTSWISSENSCHAFTEN

Die Ideen und Kandidaten werden immer radikaler, trotzdem sind viele Menschen bereit, rechtspopulistischen und -extremen Parteien ihre Stimme zu geben — wie etwa bei der Europawahl, als die AfD bei uns in Deutschland zweitstärkste Kraft wurde. Wie kommt das? Wir haben Forscherinnen und Forscher wie Laura Haßler gefragt, die sich in ihrer Arbeit Themen rund um Populismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit widmen. Sie untersuchen, wo die Wurzeln liegen, welche Strategien Rechtsextremisten verfolgen, warum ihre Sicht der Dinge bei manchen Menschen verfängt — und inwiefern Gegenprotest und -rede den vielzitierten »Rechtsruck« stoppen können. Ihre Antworten können Sie jetzt in unserem »Dossier Rechtsextremismus« lesen.

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