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1957 unternimmt der amerikanische Verhaltensforscher Curt Richter einen Tierversuch, bei dem er Ratten dem Ertrinken aussetzt. Das Experiment, später als »Forced Swim Test« bekannt geworden, wäre heute wohl ein Fall für einen Shitstorm. Aber damals schien es ethisch offenbar vertretbar, Tiere in Wasserbehälter einzusperren, aus denen sie nicht entkommen können — um zu sehen, welche Kraft Hoffnung entfalten kann.

Ratten sind ausgezeichnete Schwimmer, und als Richter ein Dutzend zahmer Ratten, die in der Obhut von Menschen aufgewachsen waren, in die Behälter setzt, zeigt sich das auch. Einige halten den Kopf bis zu 60 Stunden über Wasser, bevor sie entkräftet untergehen. Setzt Richter dagegen wilde, gerade erst gefangene Ratten in die Behälter, stellen sie nach einer Viertelstunde das Schwimmen ein und ertrinken. Einige der wilden Ratten zeigen sehr schnell eine Reaktion von Hoffnungslosigkeit, notiert Richter erstaunt, sie scheinen buchstäblich aufzugeben. Er vermutet, dass es die Ausweglosigkeit der Situation ist, die Einsicht, dass es kein Entrinnen gibt, deretwegen die Tiere aufgeben.

In einem zweiten Test hebt er die wilden Ratten, bevor sie ertrinken, für einen Moment aus dem Wasser, lässt sie verschnaufen – und setzt sie wieder zurück. Erstaunlicherweise kämpfen sie nun mindestens genauso lang um ihr Leben wie ihre zahmen Artgenossen. Anscheinend haben sie gelernt, was diese im Kontakt mit dem Menschen bereits erfahren haben – dass jemand kommen und sie retten kann.

Das Experiment hat es, trotz seiner kalten Brutalität, zu einem gewissen Ruhm gebracht. Es wird heute von Theologen wie von Motivationstrainern zitiert, um zu zeigen, wozu ein Lebewesen in der Lage ist, wenn es Hoffnung hat. Zwar weiß kein Mensch, was eine Ratte fühlt, wenn sie hofft, falls sie das überhaupt tut. Aber das scheint nicht nötig zu sein, damit wir das Experiment verstehen. Denn mit der Hoffnung meinen wir Menschen uns auszukennen. Hoffnung gilt als der Treibstoff unserer Existenz, der Motor unseres Lebens. Sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern, wie der Philosoph Ernst Bloch schrieb, der in ihr ein Menschheitsprinzip erkannte. Hoffnung verleiht uns enorme Kräfte und hilft uns, Dinge zu erreichen, die außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegen. Niemand weiß, was die Zukunft bringt, aber solange wir hoffen, ertragen wir die Ungewissheit, blenden Widrigkeiten aus und mobilisieren, was wir können, um letztlich zu triumphieren. Hoffnung ist, so gesehen, eine ganz und gar positive Macht.

Leider lässt sich nach dem Rattenexperiment auch das Gegenteil behaupten. Hoffnung macht uns blind für die Realität und ist daher das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert, wie der Philosoph Friedrich Nietzsche glaubte. Sie führt zur Schicksalsergebenheit, lässt uns viel zu lange an überholten Überzeugungen festhalten und verhindert, dass wir stattdessen nach anderen Lösungen suchen. Sie verweigert sich der Einsicht in das Notwendige und lässt uns in Illusionen flüchten, bei denen am Ende immer von irgendwoher eine Macht auftaucht, die uns vor dem Untergang bewahrt. Hoffnung, so verstanden, ist eine gefährliche Sache.

Natürlich widerstrebt es einem, in der Hoffnung etwas Destruktives zu sehen. Jeder, der schon einmal einen Liebesbrief geschrieben oder einen Lottoschein ausgefüllt hat oder ein Medikament mit harten Nebenwirkungen gegen eine schwere Krankheit nehmen musste, weiß das. Vieles von dem, was wir tun, ergibt nur durch Hoffnung Sinn. Schaut man sich jedoch die Welt an, in der wir leben, und die fundamentalen sozialen und ökologischen Krisen, die wir aufgetürmt haben, liegt nahe, dass es eher die Hoffnung als Selbstüberschätzung ist, die uns in diese Lage gebracht hat – und die Hoffnung als Realitätsflucht, deretwegen wir nicht wieder herausfinden. Gibt es so etwas wie richtiges Hoffen und falsches Hoffen? Und wie erkennen wir den Unterschied?

Vieles von dem, was wir tun, ergibt nur durch Hoffnung Sinn.

Illustration einer Person unter einem Regenschirm, die im Regen draußen eine Pflanze gießt.

I Hoffnung oder Illusion 

Dario Valenzano leitet das Leibniz-Institut für Alternsforschung in Jena und beschäftigt sich mit der Frage, warum Lebewesen altern. Aus dem Bauch heraus würde man sagen, weil sie sterben, und so haben Kollegen von Valenzano das Altern auch lange verstanden. Als jenen unvermeidlichen Prozess, bei dem ein Organismus, nachdem er sich vermehrt und zur Erhaltung seiner Art beigetragen hat, Platz für die nächste Generation macht. Das erklärt aber nicht, warum Organismen ein und derselben Art unterschiedlich lange leben oder auch dann noch weiterexistieren, wenn sie schon zu alt sind, um sich zu vermehren.

Valenzano bemisst Altern dagegen an der Fähigkeit eines Organismus, auf Schäden zu reagieren, die er im Lauf seiner Existenz erleidet. Das können Schäden von außen sein, durch Sonnenstrahlung etwa, oder von innen, durch Fehler bei der Zellteilung. Zwar nehmen auch unbelebte Objekte wie etwa ein Laptop Schaden, aber im Gegensatz zu ihnen sind Lebewesen in der Lage, ihre Schäden zu reparieren, zu heilen. Dieser Prozess läuft auch in uns die ganze Zeit ab. Das ändert zwar nichts an seiner grundsätzlichen Richtung, denn natürlich ist das Ergebnis jeden Alterns unausweichlich das Sterben. Aber wir sehen, dass wir in diesen Prozess eingreifen können, sagt Valenzano, wir können seine Geschwindigkeit beeinflussen.

An dieser Stelle kommt die Hoffnung ins Spiel. Denn, wenn es möglich ist, das Altern zu verlangsamen, ist es auch möglich, länger zu leben. Ohne, dass wir deswegen dem Tod entgehen. Da liegt der Unterschied zwischen richtigem und falschem Hoffen. Worauf wir hoffen, kann unwahrscheinlich, aber es darf nicht unmöglich sein. Sonst ist es Illusion. Vom ewigen Leben können wir nur träumen. Auf ein längeres Leben dagegen dürfen wir hoffen.

Der Organismus, den Valenzano seit Jahren erforscht und den er zu einer Art Modellorganismus für das Altern gemacht hat, ist der Killifisch. Ein kleiner, farbenfroher Fisch aus Afrika, der dort oft nur vorkommt, wenn sich in der Regenzeit Pfützen und Rinnsale bilden, in denen er leben kann. In diesen Wasserlachen schlüpft er, wächst heran, paart sich und legt Eier, die so beschaffen sind, dass sie im Schlamm sogar die kommende Trockenzeit überstehen – wird alt und stirbt. Alles innerhalb weniger Monate. Der Killifisch ist das am kürzesten lebende Wirbeltier auf der Erde. Er führt ein Leben im Zeitraffer. Genau das macht ihn für die Alternsforschung interessant, sagt Valenzano.

Als er seinen ersten Killifisch in einem Uni-Labor in Italien sah, war er noch Student, aber erkannte sofort, dass sich mit diesem Tier in kürzerer Zeit viel mehr Experimente durchführen ließen als mit Labortieren, die länger leben. Zunächst entschlüsselte er sein Genom und bearbeitete es mit der Gen-Schere, wobei die größte Schwierigkeit darin bestand, eine Hohlnadel zu entwickeln, mit der sich die harte Schale der Fischeier durchdringen ließ, ohne den Embryo zu beschädigen, dessen Gene er verändern wollte. Er fand heraus, dass die Erbanlagen, die den Killifisch länger leben lassen könnten, jede Menge schädlicher Mutationen aufwiesen, die seine Lebensspanne verkürzten. Auch wenn er im Labor gehalten wurde statt in der Natur, wurde er nicht älter.

Das änderte sich erst, als Valenzano begann, sich für das Mikrobiom des Fisches zu interessieren. Damit ist die Vielzahl an Bakterien gemeint, die seinen Darm bevölkern, ihm bei der Verdauung helfen und sein Immunsystem stützen. Wie sich zeigte, nimmt die Vielfalt dieser Darmflora ab, je älter der Fisch wird, während ihn gleichzeitig häufiger Krankheiten befallen. Viele der Killifische im Labor erkranken an Krebs. In einem Test ersetzte Valenzano nun das Mikrobiom eines alten Fisches durch das eines jungen, indem er ihn zuerst mit Antibiotika behandelte und ihm danach Bakterien aus der Darmflora eines jungen Fisches einsetzte — und siehe da: Er lebte länger. Zeigt das nicht, dass es immer Grund zur Hoffnung gibt?

Der Killifisch hofft nicht, sagt Valenzano. Hoffnung ist etwas zutiefst Menschliches. Jeder Organismus trägt in sich den Antrieb, zu überleben. Der Killifisch schafft es sogar, ohne Wasser zu existieren. Das ist eigentlich etwas Unglaubliches. Kein anderer Fisch ist dazu in der Lage. Aber wenn sein Leben zu Ende geht, altert er wie andere Fische auch. Er wird blass, krumm und krank. Er bewegt sich langsamer, lernt langsamer, seine Motivation scheint zu schwinden, sagt Valenzano – und er hat Tausende von ihnen beim Altern beobachtet. Er kann den Rahmen nicht verlassen, den die Natur ihm gesteckt hat, sagt er. Nur wir Menschen denken darüber nach, das zu tun.

Denn das ist die Voraussetzung, um hoffen zu können: Wer hofft, akzeptiert die Welt nicht, wie sie ist, er sieht sie, wie sie sein könnte. Er erkennt hinter der Wirklichkeit die Möglichkeit, dass auch etwas anderes Wirklichkeit werden könnte. Für jemanden, der hofft, ist die Welt keine abgeschlossene Angelegenheit, sondern offen dafür, dass er sich in ihr verwirklicht. Nach allem, was wir wissen, gibt es auf dem Planeten nur ein Lebewesen, das neben dem Wirklichkeitssinn über jenen Möglichkeitssinn verfügt.

Illustration einer Wissenschaftlerin aus der Frühen Neuzeit. Im Hintergrund ein Astronom, der in den Sternenhimmel blickt.

II Wie der Mensch das Hoffen lernte

Sabine Gaudzinski-Windheuser leitet das Archäologische Forschungszentrum Monrepos in Neuwied. An der auf einem Schloss gelegenen Außenstelle des Leibniz-Zentrums für Archäologie beschäftigt sie sich mit der Evolution menschlichen Verhaltens, angefangen von der Steinzeit bis zum Aufkommen des Ackerbaus. Das umfasst einen Zeitraum von ungefähr 2,5 Millionen Jahren, in denen sich die Gattung Mensch von Afrika aus über die ganze Welt verteilte und sich dabei bis zu jenem modernen Menschen fortentwickelte, der wir heute sind.

Die Fähigkeit, auf etwas hoffen zu können, hat er auf diesem Weg offenbar vergleichsweise spät erworben. Für Europa sehen wir das erst vor etwa 45.000 Jahren, sagt Gaudzinski-Windheuser. Damals begann das Holozän, jene Warmzeit, die bis heute anhält und in der unsere gesamte Zivilisation entstanden ist. Das Klima erwärmte sich, die Gletscher schmolzen ab, Flüsse, Seen, Moore und Sümpfe zergliederten die Landschaft und verdrängten die sogenannte Mammutsteppe, die bis dahin das Bild geprägt hatte. Die großen Herden zogen in den kalten Norden ab, und in den immer dichter werdenden Wäldern tauchten Rehe, Hirsche, Wildschweine auf, die ganz anders bejagt werden mussten.

Die Natur wandelte sich – und mit ihr offenbar auch der Blick, den der Mensch auf sie hatte. Wir verstehen bisher noch nicht genau, warum das passiert, sagt Gaudzinski-Windheuser. Aber wir sehen, dass es passiert.

Die archäologischen Befunde zeigen, dass der Mensch ab dieser Zeit anfängt, nahezu alle Bereiche seines Lebens auszudifferenzieren. Für jedes Tier, das er jagt, entwickelt er einen anderen Pfeil, für jeden Fisch einen anderen Haken, für jeden Baum eine andere Axt. Er pflegt Haselhaine, um Nüsse zu ernten, stellt Fangzäune für Treibjagden her. Der Mensch scheint herauszutreten aus dem, was Gaudzinski- Windheuser das Naturdiktat nennt.

Es ist, als begreife er sich nun nicht mehr als Teil der Natur, sondern wie einer, der schaut, wie sie sich besser ausbeuten lässt. Und das ist nicht die einzige Verhaltensänderung, die sich am Menschen beobachten lässt. Er verortet sich nun erstmals in Raum und Zeit, sagt Gaudzinski-Windheuser. Er legt an seinen Lagerplätzen Orte für bestimmte Aktivitäten fest, wo er nur schläft, Tiere häutet oder Steine für Werkzeuge bearbeitet. Frauen fangen an, Frisuren und ausgefeilten Schmuck zu tragen, Männer schneiden ihren Bart. In Höhlen entstehen Zeichnungen von Mischwesen, Menschen mit Löwenkopf oder Geweih. Tote werden nicht mehr in einfachen Gruben, sondern in ausgeschmückten Gräbern bestattet und bekommen Dinge mit, die zeigen sollen, wer sie waren oder ihnen hilfreich sein könnten, wo sie hingehen. Es wirkt, als fächere sich die Welt für den Menschen auf einmal in lauter Dimensionen auf – und als frage er sich, wer er darin ist oder sein könnte. Man könnte sagen, er entdeckt seine Individualität, sagt Gaudzinski-Windheuser.

Sie ist Expertin für den Neandertaler, den nächsten Verwandten des modernen Menschen, der diese Verhaltensweisen nicht entwickelt hat. Er hat so gefährliche Tiere wie Höhlenlöwen und Bären gejagt, aber er hat nie begonnen, die Natur auf ein Mehr hin auszubeuten. Solange es ihm gut ging, musste es ihm offenbar nicht besser gehen. Er lebte ganz im Hier und Jetzt, sagt Gaudzinski- Windheuser, damit hat er 300.000 Jahre auf der Erde überlebt. Ich weiß nicht, ob wir das schaffen werden.

Mit seiner Fähigkeit, mehr zu sehen, als die Sinne wahrnehmen, verändert der Mensch die Welt, während er gleichzeitig die Erfahrung macht, ihr ausgeliefert zu sein und sie nie ganz kontrollieren zu können. Das sind die beiden Seiten seines neuen Talents: Wer Staunen kann, lernt auch Erschrecken. Wer Fülle erfahren hat, fürchtet Not und Mangel. Wer Hoffnung kennt, weiß auch vom Bangen und Verzweifeln. Das führt automatisch zur Frage, wer eigentlich die Regeln macht, was möglich ist und wirklich wird. Anders gefragt: Auf wen hoffen wir, wenn wir hoffen?

III Hoffen auf Gott, den König — oder uns?

Christine Zabel und Albert Schirrmeister arbeiten am Deutschen Historischen Institut Paris und forschen zur Frühneuzeit, jene Zeit zwischen Spätmittelalter und Moderne, die mit der Entdeckung Amerikas beginnt und der Französischen Revolution endet. Dass uns der Blick in eine Zeit helfen könnte, in der gerade erst der Buchdruck erfunden wurde, während wir in einer Pandemie steckten und der Klimawandel unsere Zivilisation gefährdet, lag nicht unbedingt nahe, als die beiden vor knapp drei Jahren einen Blog mit dem Namen »Hoffnung handeln« gründeten. Doch genau das war ihre Idee. Ich wollte nicht, dass wir uns nur immer auf die Krisen konzentrieren, sagt Zabel. Ich brauchte, auch für mich selbst, wieder eine andere Perspektive.

Das Leid der Welt erfahren und dennoch hoffen – wie ist dies möglich?, schreiben sie in ihrem Editorial. Woher die Hoffnung nehmen? Worauf sie richten? Die Frühneuzeit ist eine Epoche, in der die Menschen in Europa kollektiv erleben, wie die Fundamente ihrer Welt grundsätzlich ins Wanken geraten. Seefahrer entdecken neue Kontinente und Völker. Die Reformation spaltet die Kirche. Kriege, wie es sie bis dahin nicht gegeben hat, verheeren für Jahrzehnte ganze Länder, gefolgt von Seuchen und Hungersnöten. Revolutionen werfen politische Verhältnisse um, die jahrhundertelang Bestand hatten, plötzlich werden sogar Könige hingerichtet. Mikroskope und Teleskope lassen den Menschen an seinen Sinnen zweifeln, weil sie unsichtbare Dinge sichtbar machen. Die Aufklärung schließlich fordert von ihm, seinen Verstand zu benutzen, wo er bislang auf Gott vertraute, und entlässt ihn damit in eine fundamentale Unsicherheit.

Für jemanden, der hofft, ist die Welt keine abgeschlossene Angelegenheit.

Auf wen man in so einer Zeit hoffen kann, wird umstritten, sagt Zabel. Es existieren verschiedene Logiken nebeneinanderher – und das führt zu Spannungen. Einerseits liegt Hoffnung noch auf Gott, der die beste aller möglichen Welten geschaffen hat, wie der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz glaubte. Doch Ereignisse wie das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755, bei dem bis zu 100.000 Menschen sterben und die Stadt fast vollständig zerstört wird, stellen die Frage, wie ein gütiger Gott solch eine Katastrophe zulassen kann. Andererseits richtet sich die Hoffnung auf Könige und Fürsten, deren weltliche Macht Schicksale wenden kann, die sie allerdings willkürlich und egoistisch einsetzen.

Immer häufiger scheinen die Menschen bei der Suche danach, auf wen sie hoffen können, bei sich selbst anzukommen. Im Verlauf der Frühen Neuzeit erkennen Menschen, dass es Dinge gibt, die sie selbst in der Hand haben und bei denen sie auf sich selbst hoffen dürfen, sagt Schirrmeister.

Dem Wetter sind die Seefahrer ausgeliefert, wenn sie sich auf den Weg über den Ozean machen, statt wie bisher die Küsten entlang zu segeln. Aber sie können es mit besseren Geräten beobachten. Werften können seetüchtigere Schiffe entwickeln. Eigner können die Fracht versichern, für den Fall, dass sie verloren gehen sollte. Der aufkommende Kapitalismus bietet auf einmal auch jenen die Möglichkeit, reich zu werden, die das zuvor nie hätten werden können.

Es bleibt ein Rest Ungewissheit, in die Welt aufzubrechen. Aber für die Menschen der Frühneuzeit ist Hoffnung mehr als banges Warten, ob das Schicksal es gut mit einem meint. Sie liegt eher in der Hand desjenigen, der es selbst anpackt. Den Menschen der Frühen Neuzeit standen die Grenzen der eigenen Handlungsmacht oft deutlicher vor Augen als uns, sagt Zabel, aber hoffendes Handeln konnte dabei helfen, diese Grenzen auszuweiten oder mit ihnen umzugehen.

Aus diesem Gefühl der Machbarkeit heraus wird auch die Idee der Aufklärung verstanden, die der Philosoph Immanuel Kant am Ende der frühen Neuzeit formuliert. Der Mensch verfügt nicht nur über den freien Willen, er besitzt mit seinem Verstand auch ein universelles Werkzeug, um die Möglichkeiten dieser Freiheit auszuschöpfen. Nachdem er aus dem Naturdiktat herausgetreten ist, tritt er dabei scheinbar nun auch aus dem Gottesdiktat heraus und kann sich die Welt endlich so einrichten, wie er will.

Schaut man sich an, was aus der Welt geworden ist, auf die der Mensch aus diesem Selbstverständnis heraus zugegangen ist, scheinen sogar viele seiner Träume von der Realität übertroffen worden zu sein. Wir leben heute im Schnitt länger als jede andere Generation vor uns und sind dabei nicht nur gesünder, gebildeter und wohlhabender, wir haben das erreicht, obwohl wir auch noch mehr Menschen sind, als je zur gleichen Zeit auf dem Planeten lebten. Wir fliegen ins All, verändern die Gene von Pflanzen und Tieren. Wenn eine Pandemie ausbricht, entwickeln wir in Rekordzeit Impfstoffe. Gerade erschaffen wir selbstlernende Algorithmen, die intelligenter sind als wir selbst.

Auf der einen Seite scheinen wir in einer Welt, in der wir die Zukunft mit Computermodellen genauer vorhersagen können als je zuvor, kaum noch auf Hoffnung angewiesen zu sein. Je mehr wir wissen, umso weniger müssen wir hoffen. Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass uns immer mehr Dinge entgleiten und wir sie eben nicht kontrollieren können. Wir sind in der Lage, die Durchschnittstemperatur für jeden Ort auf der Erde für das Jahr 2030 zu berechnen, können aber den Klimawandel nicht aufhalten. Für fundamentale Grundlagen unseres Lebens können wir inzwischen nur noch auf Wunder hoffen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Illustration eines älteren Paares. Der Mann sitzt auf einer Bank, neben ihm eine Tageszeitung, die Frau steht vor der Parkbank.

IV Hoffnung und Endlichkeit

Ingolf U. Dalferth ist Religionsphilosoph und hat an Orten wie Tübingen, Zürich, Oxford, Cambridge und Los Angeles gelehrt, wo er sich mit so grundsätzlichen Fragen wie der nach der Sünde, dem Bösen und natürlich auch mit der Hoffnung beschäftigt hat. In einem seiner Bücher hat er untersucht, wie Philosophen und Theologen sie durch die Zeit hindurch begründet haben. Der Mensch hat Grund zur Hoffnung, sagt er. Er darf sich selbst nur nicht mit Gott verwechseln.

Für Dalferth besteht Hoffnung darin, dass sich der Mensch seine eigene Endlichkeit eingesteht. Dass er akzeptiert, dass er nicht allmächtig, nicht allwissend, eben kein Gott ist. Er kann nicht alles kontrollieren, es liegt nicht alles in seiner Hand. Er bleibt angewiesen auf etwas, das seine Möglichkeiten übersteigt, ob das nun andere Menschen sind, Natur, Zufall oder etwas, das man Gott nennt.

In dieser Beschränkung liegt eine gewisse Erleichterung. Sie entbindet ihn von dem Anspruch, dass alles immer so laufen muss, wie er es sich vorgestellt hat, damit er klarkommt. Das Pendeln zwischen Allmacht und Ohnmacht darf aufhören. Zu hoffen verweist den Menschen auf die Frage, die nur er und niemand sonst für ihn beantworten kann – was es heißt, ein Mensch zu sein. Nicht, was wir erhoffen, macht uns Menschen aus, sagt Dalferth, sondern dass wir hoffen und annehmen, es würde zu etwas Gutem führen.

Zu hoffen verändert damit nicht nur die Welt, es verändert auch denjenigen, der hofft. Wer auf Gerechtigkeit hofft, wird nicht ungerecht sein wollen. Wer auf Frieden hofft, andere nicht überfallen. Hoffnung macht uns zu besseren Menschen, weil sich in ihr die Ideale ausdrücken, wie wir als Menschen leben wollen, um die Möglichkeiten unseres Seins auszuschöpfen. In diesem Sinne handeln wir, weil wir hoffen, und wir hoffen und darum handeln wir. Ob es möglich ist, wissenschaftlich zu beweisen, dass es so etwas wie Gott gibt oder das Gute existiert, ist dann nicht mehr wichtig. Es ist einfach nicht denkbar, ein sinnvolles Leben zu führen, wenn man nicht annimmt, dass es so ist.

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