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Mit der Speicherung von Daten ist es so eine Sache. Vor allem, wenn man Informationen länger aufbewahren will. USB-Sticks gehen schnell kaputt, weshalb man auf ihnen wertvolle Dinge wie zum Beispiel Familienbilder tunlichst nicht archivieren sollte. Auch größere Festplatten halten nicht ewig. Außerdem sind die Daten komplett verloren, wenn man versehentlich mit einem magnetischen Gegenstand in die Nähe kommt. CDs wiederum beginnen nach wenigen Jahrzehnten, sich aufzulösen. Bücher halten da schon länger. Doch die riesigen Datenmengen, die heute von Maschinen, Computern oder Medizingeräten wie CTs generiert werden, einfach auf Papier drucken? Unmöglich!

Wie also soll man Informationen künftig für die Nachwelt aufheben? Forschungsdaten, Musik, Gemälde und Kunstwerke oder Fotos und Videos? Wie lässt sich ein Gedächtnis der Menschheit erschaffen, das Jahrhunderte und sogar Jahrtausende überdauert?

Die DNA ist als Speichermedium verheißungsvoll.

MARK SOMOZA

Die Lösung für dieses Problem liegt möglicherweise in einer Substanz, die wir zwar alle in uns tragen, die aber erst in jüngerer Zeit als potenzielles Speichermedium des digitalen Zeitalters erkannt wurde: unserer Erbsubstanz DNA. In der DNA sind im Kern unserer Zellen auf kleinstem Raum große Mengen an Informationen gespeichert – der Bauplan des Menschen, mitsamt seiner vielen Tausend verschiedenen Eiweiße. Die DNA ist außerdem ungeheuer lange haltbar, wie ein internationales Forschungsteam vor drei Jahren zeigen konnte: Den Wissenschaftlern gelang es, aus Mammutkadavern uralte DNA zu gewinnen, die mehr als eine Million Jahre im tiefgefrorenen Boden der Arktis überdauert hatte.

Aus diesen Gründen arbeiten Wissenschaftler aus aller Welt seit einigen Jahren daran, aus der Idee von der DNA als molekularer Festplatte eine alltagstaugliche Speichertechnologie zu entwickeln. Einer von ihnen ist Mark Somoza. Zusammen mit Kollegen hat der Chemiker vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München einen Weg gefunden, digitale Informationen aus dem Computer auf DNA zu übertragen – unter anderem haben sie ihr Verfahren mit Notenblättern von Mozarts »Jagdquartett« erprobt. Somozas Beitrag: Er hat diesen Speichervorgang wesentlich beschleunigt. Für mich ist die DNA als Speichermedium so verheißungsvoll, weil wir Menschen damit sehr wahrscheinlich auch in ferner Zukunft noch etwas anfangen können. Bei einer Diskette aus den 1980er Jahren ist das anders: Die meisten Computer können sie schon heute nicht mehr lesen.

DNA Strang Datenspeicher

Mark Somoza und seine Kollegen bauen auf einer Technologie auf, die schon seit 30 Jahren etabliert ist – dem DNA-Chip. Bei DNA-Chips befestigt man durch chemische Prozesse kleine DNA-Abschnitte auf einer Oberfläche, von der sie wie Schwänzchen in die Luft ragen. Sie kommen unter anderem in der Medizin zum Einsatz, um das Erbgut von Patienten zu untersuchen – viele Krankheiten haben schließlich genetische Ursachen. Dazu werden die Chips mit DNA oder RNA aus Zellen benetzt, die sich dann an die Gegenstücke, die DNA-Sequenzen auf der Oberfläche, anlagern. Biotechnologen können daraus auf genetische Veränderungen und die Ursachen von Krankheiten schließen. Auch Mark Somoza lässt auf einer Chipoberfläche kleine DNA-Schwänze wachsen – allerdings nicht für medizinische Analysen, sondern um Stück für Stück Daten abzuspeichern.

Aber woraus besteht Somozas Speichermedium der Zukunft eigentlich? Ein DNA-Strang setzt sich aus vielen Hundert Molekülbausteinen zusammen, von denen es vier verschiedene gibt, die sogenannten Nukleotide Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. Die vier Nukleotide sind die Buchstaben, mit denen die Sprache des Lebens geschrieben ist: Aus der Abfolge der Nukleotide ergibt sich der genetische Code, eine Blaupause nach der unser Körper Eiweiße, die Grundbausteine des Lebens, herstellt.

Mark Somoza hat die vier Nukleotide zweckentfremdet: Sie enthalten bei ihm nicht mehr den Bauplan von Proteinen. Stattdessen repräsentiert jedes Nukleotid einen Teil des binären Codes, mit dem Infor matiker Informationen in die Zahlen 0 und 1 übersetzen. Die Buchstaben des Alphabets zum Beispiel werden in der Computerwelt jeweils durch acht Zahlen, acht Bits, dargestellt. Das »a« zum Beispiel durch die Bit-Folge 01100001, das »z« durch die Folge 01111010. Bei Mark Somoza steht ein Nukleotid für zwei Bits. Das Adenin etwa kann die Folge 00, das Cytosin 01, das Guanin die 10 und das Thymin die 11 repräsentieren. Hängt man die entsprechenden Nukleotide aneinander, wächst nach und nach eine binäre Zahlenfolge in die Länge. In Nukleotide übersetzt, wird das »a« durch die Abfolge von Cytosin (01), Guanin (10), Adenin (00) und Cytosin (01) repräsentiert. Tatsächlich ist die Datenspeicherung beziehungsweise Kodierung aber noch ein wenig komplizierter, sagt Mark Somoza. Vor allem müsse man gewährleisten, dass später beim Auslesen und Abrufen der Daten keine Fehler auftreten.

Die Menge an DNA-Strängen, die heute auf einem DNA-Chip von wenigen Millimetern Breite Platz finden, ist beachtlich. Auf den Chips etwa, die Mark Somoza nutzt, sind es zwei Millionen Stränge. Jeder Strang ist 60 Nukleotide lang. Das ergibt eine enorme Speichermenge. Wer es nachrechnen will: Zwei Millionen Stränge à 60 Nukleotide, wobei jedes Nukleotid für zwei Bits steht – das macht insgesamt 240 Millionen Bits beziehungsweise 30 Megabyte, was einem Worddokument mit etwa 15.000 Seiten entspricht. Dabei kann man die DNA auf den Chips mit dem bloßen Auge noch nicht einmal sehen. Die Datendichte ist enorm, das Volumen winzig, sagt Mark Somoza. Und das mache für ihn das große Potenzial aus: gigantische Datenmengen auf sehr kleinem Raum speichern.

Der Chemiker Mark Somoza.
Der Chemiker Mark Somoza. Bild: J. KRPELAN/LSB

Man könnte mit der DNA zum Beispiel auch Produkte und Lebensmittel kennzeichnen, um Lieferketten nachvollziehbar zu machen. Da die Technologie noch vergleichsweise teuer ist, dürfte sie aber zunächst für Spezialanwendungen zum Einsatz kommen – etwa um große Mengen an Forschungsdaten zu speichern.

Mark Somoza ist es gelungen, den Speichervorgang stark zu beschleunigen, wodurch die Technologie in den kommenden Jahren erschwinglicher werden könnte. Dafür hat er einen neuen chemischen Prozess entwickelt: So setzt er die Nukleotide jetzt mithilfe von Licht zu DNA-Strängen zusammen. DNA-Chips werden routinemäßig in winzigen Kammern hergestellt, in die nacheinander Flüssigkeiten eingespritzt werden, die die verschiedenen Nukleotid und Chemikalien enthalten. Die Stränge wachsen in vielen Durchgängen in die Länge, indem Nukleotid an Nukleotid andockt. Damit ein neues Nukleotid andocken kann, müssen die freien Enden der wachsenden Stränge aber bei jedem Schritt chemisch aktiviert werden – und zwar stets nur an den Strängen, an die im nächsten Durchgang tatsächlich auch das nächste Nukleotid ankoppeln soll, etwa ein Adenin. Doch diese chemische Aktivierung ist aufwendig.

Mark Somoza beleuchtet die DNA-Stränge mit Laserlicht, um sie zu aktivieren. Er nutzt ein mikromechanisches Gerät, auf dem zwei Millionen Mini-Spiegel sitzen, die alle Positionen auf dem Chip ausleuchten können. Der Trick besteht darin, dass ein Computer bei jedem Schritt nur die Stränge aktiviert, an die das nächste Nukleotid andocken soll. Dank der vielen Spiegel lassen sich Hunderttausende von Strängen zugleich aktivieren – in wenigen Sekunden. Damit kann Mark Somoza einen DNA-Chip jetzt in ein bis zwei Stunden aufbauen, und das zu einem Zehntel des bisherigen Preises; rund 100 Euro sind es derzeit pro Chip. Wir hoffen, dass wir die Kosten in den nächsten Jahren durch Optimierungen in der Chemie und Photochemie nochmals um den Faktor 100 senken können, sagt Mark Somoza.

Um die Daten später auszulesen, wird die DNA in handelsübliche Sequenzierautomaten eingespeist, die die Abfolge der Nukleotide analysieren. Das ist Stand der Technik. Die eigentliche Baustelle ist derzeit noch die Speicherung, die etwa 100-mal teurer als die etablierte Sequenzierung ist, sagt Mark Somoza. Für ihn ist es aber nur eine Frage von wenigen Jahren, bis unser Erbgut zum alltäglichen Speichermedium wird. Die DNA ist einfach großartig. Wenn man sie kühl, trocken und dunkel lagert, kann sie sogar in einem ganz normalen verschlossenen Becher mehrere Jahrhunderte überdauern.

Somozas Kollegen Robert N. Grass von der ETH Zürich ist es vor Kurzem gelungen, DNA mit Glas zu umhüllen – und anschließend daraus wiederzugewinnen. Materialtests im Labor deuten darauf hin, dass DNA auf diese Weise sogar mehrere Tausend Jahre lang aufbewahrt werden kann – mindestens. So alt wie das Mammut aus dem arktischen Eis wird sie damit natürlich noch nicht. Aber deutlich haltbarer als alle anderen Speichermedien, die es heute gibt.

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